ein Projekt von
Bruce Odland und Sam Auinger

 

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Die mobile Klanginstallation BOX 30/70 ist das neueste Projekt von Bruce Odland und Sam Auinger. Seit 1987 betreiben die beiden Komponisten sehr spezifische Klangrecherchen in urbanen Räumen. In ihren Installationen reagieren sie durch subtile klangliche Transformationen direkt auf akustische Situationen im öffentlichen Raum und verändern damit für einen bestimmten Zeitraum gleichsam die charakteristische Wahrnehmung eines Ortes. Für das Projekt BOX 30/70 haben sie ihr Konzept um eine entscheidende Dimension erweitert: eine komplexe Klanginstallation wird über zwei Jahre in verschiedenen Städten aufgestellt und damit unterschiedlichen Situationen ausgesetzt sein.

Das Resonanzrohr

Odland und Auinger verwenden bei ihren Klanginstallationen im öffentlichen Raum ein spezielles, in Länge und Durchmesser genau abgemessenes Resonanzrohr. Dieses "tuning tube" verstärkt je nach seinen konkreten Maßen bestimmte Frequenzen der urbanen Umgebungsklänge und hebt diese so aus dem Ausgangsmaterial hervor. Die Länge des Resonanzrohrs bestimmt seinen Grundton: So hat z.B. die Schallwelle eines tiefen F eine Länge von 12 Fuß. Ein Rohr dieser Länge verstärkt daher genau diesen Ton sowie dessen Obertonreihe. Trotz der Transformation bewahren prägnante Klänge und Geräusche der urbanen Umgebung ihren unverwechselbaren Charakter - die Sirenen von Krankenwagen oder Feuerwehr, das tiefe Brummen von Lastwagenmotoren oder auch Hundebellen und menschliche Stimmen bleiben erkennbar.

Die Übertragung

Für das Projekt BOX 30/70 ist das "tuning tube" auf dem Dach eines Containers, einem begehbaren Hörraum, fest fixiert. Zur Übertragung der Klänge sind im Inneren des Resonanzrohrs zwei Mikrophone an exakt ausgemessenen Positionen installiert. Sie befinden sich an je einem Schwingungsknoten der resonierenden Frequenz, so daß sich bestimmte Kombinationen von Obertönen weiter verstärken lassen. Die Klangtransformationen wirken manchmal wie kleine einprägsame Melodiefragmente. Die BOX 30/70 wird an öffentlichen Straßen oder Plätzen mit einem charakteristischen Klangbild installiert. Bei früheren Projekten der beiden Künstler im Stadtraum waren "tuning tubes" unter anderem in einem alten Straßentunnel in Salzburg, im Forum Trajianum in Rom, am West Side Highway in New York... installiert.

Die "gestimmte" Stadt

Die Abstrahlung der transformierten Stadtklänge in Echtzeit in den öffentlichen Raum bewirkt eine subtile Veränderung des akustischen Stadtbildes. Nicht allein die Klänge, die gesamte Situation wird neu "gestimmt": unspezifische Geräusche, Lärm oder Krach, die oft als störend empfunden werden, erhalten eine harmonische Grundstimmung. Zugleich treten die transformierten Klänge in einen Dialog mit dem Ausgangsmaterial der akustischen Stadtlandschaft: Sie färben nicht nur das akustische Stadtbild neu. Das gesamte urbane Leben, die sozialen und architektonischen Besonderheiten der von den beiden Künstlern jedesmal sorgfältig ausgewählten Plätze, erscheinen gewissermaßen in ungewohntem Licht.

Klangrecherche

Um den Besuchern die Orientierung in dieser besonderen Hörsituation zu erleichtern, haben Odland und Auinger für ihr neues Projekt BOX 30/70 eine neue Abspielsituation entworfen, in der sich der Hörer intensiver mit dem Klanggeschehen befassen kann. Dazu wird das Ergebnis der Klangtransformation in einen vor Außengeräuschen weitgehend geschützten Raum übertragen. Hier kann man die veränderten Klänge isoliert hören. Parallel dazu erfolgt eine Echtzeitübertragung in den öffentlichen Raum, wo sich die Klänge mit dem akustischen Stadtbild vermischen.

Die doppelte Präsentation der Klangtransformation bietet dem Besucher die Möglichkeit, die veränderten Klänge in unterschiedlichen Kontexten kennenzulernen. Die Unterschiede zwischen beiden Abspielsituationen provozieren fast von selbst eine Schärfung der Sinne und eine Intensivierung der Wahrnehmung. Der komplette Installationsaufbau wurde unabhängig von den einzelnen Orten konzipiert, an denen die Installation präsentiert werden soll. Im Zentrum des Projekts steht die Klangtransformation, dagegen nimmt man die spezifischen Besonderheiten der einzelnen Städte fast beiläufig wahr. Zu den Stationen zählen Witten, Rotterdam, Berlin, Düsseldorf, Dresden und Wien.

Der Kubus (Cube)

Für die Echtzeitübertragung im öffentlichen Raum verwenden Odland und Auinger einen kleinen, stabilen Lautsprecherkubus. Dieser Cube eignet sich speziell für Langzeit-Installationen im Außenraum. Das Lautsprechergehäuse ist komplett aus Beton gefertigt, die Klangabstrahlung erfolgt gleichmäßig in alle Richtungen. Bei dem Projekt BOX 30/70 befindet sich der Cube, im Gegensatz zum restlichen Equipement, außerhalb des Containers.

Die Box

Das wichtigste Element des neuen Projekts ist die Box: Ein Container, der als Hörraum für maximal 10 Besucher eingerichtet ist. Durch ihre farbliche Gestaltung hebt sich die Box deutlich von ihrer Umgebung ab. Oben auf der Box befindet sich das Resonanzrohr. Es ist mit zwei schwenkbaren Reflektoren versehen, mit denen sich die akustischen Gegebenheiten im Rohr geringfügig manipulieren lassen. Man kann es vor allzu starken Immissionen abschirmen oder bestimmte akustische Vorgänge umlenken und verstärken.

Durch einen kleinen Vorraum, in dem man die Schuhe ablegt, gelangt man in den eigentlichen Hörraum, der wie ein "chill out room" gestaltet ist. Dazu gehört der weiche Belag auf dem Boden und an den Wänden, die würfelförmigen Sitzgelegenheiten sowie eine sparsame Beleuchtung. Ein Videobildschirm zeigt Echtzeit-Bilder aus dem Resonanzrohr, ein anderer eine grafische Darstellung des Klanggeschehens in Wellenform. Durch ein kleines, getöntes Glasfenster kann man die Umgebung der Box schemenhaft erkennen. Eine "Memory-Station" dokumentiert die bereits abgeschlossenen Stationen mit den archivierten akustischen Resultaten, die über Kopfhörer zur Verfügung gestellt werden.

Alphabet of Sounds

Um das musikalische Geschehen zeitlich zu strukturieren, erfolgt die Echtzeitübertragung der transformierten Klänge im Wechsel mit anderem musikalischen Material, das gewissermaßen zur Kontrastbildung dient. Odland und Auinger verwenden dafür Kompositionen aus ihrem "Alphabet of Sounds", einer Datenbank aus transformierten Stadtklängen unterschiedlichster Herkunft, die sie in den 13 Jahren ihrer Arbeit im öffentlichen Raum aufgebaut haben. In der Box beträgt das Verhältnis zwischen den in Echtzeit produzierten Klängen und dem Kontrastmaterial 30 zu 70. Der konkrete Verlauf ergibt sich aus der Dauer der aus dem "Alphabet of Sounds" ausgewählten Stücke. Zum Beispiel folgt auf ein Stück von 7 Minuten Länge eine Echtzeitübertragung von 3 Minuten, usw. Während der Echtzeitübertragung sieht man in der Box auf dem Videobildschirm den Blick durch das Resonanzrohr als visuelle Referenz. Der strikte Wechsel zwischen veränderten Klängen und komponierten Stücken funktioniert als Spielregel, die dem Besucher die Annäherung an das komplexe Klanggeschehen des Transformationsprozesses erleichtert: im Wissen um die zeitliche Beschränkung der Übertragung erhöht sich die Aufmerksamkeit für das Geschehen während der Echtzeitübertragung.

Die Nullform

Anfang 2001 waren Odland und Auinger zur Vorbereitung des Projekts in der Mojave-Wüste nordöstlich von Los Angeles (U.S.A.). Am Rande der Wüste, direkt an der Route 136, wird jedes der in gleichmäßigem Tempo vorüberrauschenden Autos zu einem langen Crescendo-Decrescendo, bei dem sich der Transformationsvorgang detailliert verfolgen läßt. Ausgehend von diesen Beobachtungen wurden die genauen Maße des Rohrs für die BOX 30/70 festgelegt. Die akustischen Resultate der Vorbereitungsphase sind in der "Memory-Station" der Box dokumentiert. Sie sind die Null-Form, die man mit den Klangveränderungen in den verschiedenen Aufstellungsorten vergleichen kann.

Hören im Raum

Die Besucher können sich in der Box beliebig lange aufhalten. Die geschützte Atmosphäre des Hörraums und die ungewohnte Dunkelheit bringen die klanglichen Prozesse außerordentlich gut zur Geltung. Je länger man sich auf das Klanggeschehen einläßt, desto stärker wird man für die direkt auf dem Dach der Box im Resonanzrohr transformierten und in die Box übertragenen Klänge sensibilisiert. Man hört die transformierten Klänge fast genau an dem Ort, der ohne die Box von den unveränderten Klänge direkt beschallt werden würde. Die Frage, wie sich unsere räumliche Wahrnehmung innerhalb des Prozesses der Klangtransformation verändert, ist vielleicht die eigentlich zentrale des Projekts.

singuhr - hörgalerie in parochial